Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, zufälligen Begegnungen und Entdeckungen im Harz.
Hinterm Zaun (oder wie alles begann) 11.05.2014 Es ist Wochenende und spätnachmittags. Noch führt die neue B6 über leicht geschwungene Hügel, vorbei an quittegelb blühenden Rapsfeldern, den Bergen am nahen Horizont entgegen. Je mehr ich mich ihnen nähere, desto mehr scheinen sie vor mir flüchten zu wollen. Doch ihre Konturen werden schärfer und die Bergkuppen verschwinden im Dunst. Die B6 zum Harz ist breit und großzügig wie eine Autobahn angelegt, nur der Verkehr, der auf ihr rollt, ist dem auf einer Bundesstraße ganz und gar nicht ähnlich. So kann ich die ständig wechselnden Aussichten zu beiden Seiten der Straße ein wenig genießen und mich auf die Ankunft in Blankenburg freuen. Nach der langen Fahrt mit dem Auto auf der breiten Piste aus Beton und Asphalt, wollen meine Füße noch ein wenig ausgleichende Bewegung und die Lungen brauchen frische Luft. Also gehen wir noch einmal raus vor die Hütte. Schon nach wenigen Schritten stehen wir direkt am Waldrand, doch vom Wald ist nichts zu sehen, außer diese dichte Hecke. Was ich sehe sind Blätter, dicht an dicht, eines neben dem anderen, und die verwehren den Augen einen ersten Blick in den Wald hinein. Wer mehr erblicken will, der muss dort hindurch und hinein. Also gehen wir an diesem langen Vorhang aus Blätterwerk entlang, um einen Weg hinein zu finden und plötzlich, wie aus dem Nichts, stehen wir davor. Es ist beinahe wie im Märchen, in dem eine unbekannte Stimme nicht „Sesam“ sagt, sondern: „Wald, öffne dich.“ Wir ziehen den Kopf ein, bücken uns und gelangen in dieser Haltung schon nach wenigen Schritten in eine andere Welt. Vor uns öffnet sich ein schmaler Weg und ein wenig dahinter blinzelt hell und klar das Wasser eines Waldsees durch die Zweige. Noch wenige Schritte zuvor sahen wir zu beiden Seiten der Straße schmucke Fachwerkhäuser und jetzt stehen wir mitten im Wald. Dies hier ist der Harz am Fuße der Berge und die Häuser gehören zu einer der Städte, die sich an das dichte Grün des Waldes schmiegen. Es ist unser erstes und vorsichtiges Abtasten einer neuen und anderen möglichen Zukunft. Meine Füße erkunden den feuchten Weg am See entlang, auf dessen Wasserfläche ich durch die tief herab hängenden Zweige und Äste schaue. Für mich Neuankömmling sieht das alles wirklich wie im Märchen aus und hat in der aufkommenden Dämmerung auch einen Hauch von Mystik. Am Hang stehen hohe Bäume, deren Wurzeln sich frei liegend in die Böschung krallen und dabei alle möglichen Formen bilden. Mit etwas Fantasie kann ich sogar das Gesicht eines Zwerges zwischen den knochigen Knollen entdecken. Der Weg führt am See entlang. Vom Berg kommend stürzt ein Bächlein hinein, das am anderen Ende wieder aus dem See heraus fließt. Hier geht es noch mal ein ganzes Stück tiefer in eine Senke hinein, an deren oberen Rand der Weg weiter in das Dickicht führt. Hier stolpere ich auf dem feuchten Grund weiter, doch irgendetwas scheint hier völlig anders zu sein. Zwar fließt das Bächlein unten weiter, es stehen noch immer lange schlanke Baumstämme zwischen knorrigen vermoderten Resten, aber es duftet ganz anders. Die Luft hier im Wald hat einen Geschmack, der mich an Zwiebeln, Schnitt- oder Knoblauch erinnert, würzig und süß, eigentlich gar nicht so, wie es im Wald nach meinem Empfinden schnuppern sollte. Da es außerdem schon ziemlich spät am Nachmittag ist, kann ich die Ursache nicht sofort erkennen, aber nach einigen Schritten weiter sind die vielen weißen Punkte, die sich in der Senke wie zu einem großen Teppich fügen, nicht mehr zu übersehen. Da unten, links und rechts des Bächleins, wachsen abertausende Bärlauchpflanzen mit ebenso vielen weißen Blüten und die verbreiten ihren typischen Geruch überall im Wald, dem von Knoblauch sehr ähnlich. Wohin man hier auch blickt, man sieht weiß. Auch hinter der nächsten Wegbiegung windet sich das Bächlein da unten weiter und gibt dem wallenden weißen Teppich aus Bärlauch genug Nässe, um hier alles zu überwuchern. Am liebsten würde ich jetzt dort hinunter steigen, um mir das alles mal aus der Nähe zu betrachten, aber mein Verstand verhindert gerade noch im letzten Augenblick eine Rutschpartie, die das mit großer Sicherheit werden würde. Stattdessen steige ich an der anderen Seite durch das Gesträuch wieder nach draußen, um zurück zur Unterkunft, dem Abendessen entgegen, zu wandern. Am nächsten Tag fahren wir wieder zwischen Hügeln hindurch und an gelben Rapsfeldern entlang, einem anderen Ziel entgegen. Die Berge vom Harz im Rückspiegel und die Weite der Ebene vor mir. Bei so einem Anblick kommt man schon einmal ins Schwärmen. Nach wenigen Kilometern biegen wir nach links ab, hinein in die Felder, einem der vielen kleinen Dörfer zu, die sich hier überall zwischen die Hügel und Senken ducken. Man sieht die ersten Dächer erst dann, wenn man hinter dem nächsten Hügel plötzlich ein Ortsschild zwischen den Bäumen am Straßenrand erkennt. Dann fährt man schon auf der schmalen Hauptstraße in das Dorf hinein. Die zwängt sich zwischen alten Fachwerkhäuschen in tristen Grau- und Brauntönen hindurch. Ein paar hundert Meter lang sieht es irgendwie düster aus, so als wäre die Zeit hier 1989 stehen geblieben. Ein solch bedrückendes Gefühl hatte ich schon lange nicht mehr. Wir fahren in eine der Nebenstraßen und befinden uns plötzlich auf einem freien Platz. Dieser Anblick überrascht mich sehr, denn er steht im krassen Gegensatz zu dem, was ich eben noch an der Straße sah. Dieser Platz hier, der ein Marktplatz zu sein scheint, ist von vielen schmucken Fachwerkhäusern eingerahmt. Eines schöner, als das daneben und jedes ein wenig anders, als das zuvor. Die Häuschen stehen an einer Straße, die rund um den Platz führt. Es stehen viele Bäume hier und das Ambiente kommt mir beinahe wie in einem Märchen vor. Eigentlich, so stelle ich mir vor, müssten hier viele Menschen geschäftig umher laufen und man sollte Stimmen hören. Doch weit und breit kann ich hier niemanden sehen und es ist still, wie ausgestorben. Nur vor den Fachwerkhäusern stehen dicht an dicht gedrängt Autos, die auf anwesende Einwohner deuten. Mein EE auf dem Nummerschild ist das einzig fremde hier. Auf allen anderen kann ich HZ lesen, was vermutlich auf den Harz hindeuten soll, denke ich mir. Stunden später wird mir mein Sohnemann (Mitte dreißig, grinsend erklären, dass dieses HZ für „Hinterm Zaun“ steht. Da bleibt mir erst einmal die Spucke weg, denn der mir das sagt, wohnt zwar in Goslar, kommt aber aus EE wie seine Eltern. Den Zynismus hinter den Worten scheint er aber schon nicht mehr fühlen zu können. Da stehe ich vor einem dieser renovierten Schmuckstücke in Weiß und staune. Dieses Gebäude hebt sich besonders hervor und in unmittelbarer Nähe ist so ein eigenartiges großes Kreuz aufgestellt, an dem in luftiger Höhe Emailleschilder hängen. Darauf die Wappen von Handwerksbetrieben und ich vermute, dass die alle etwas mit der Gestaltung dieses gepflasterten Schmuckstückes sowie den schmucken Häuschen im Rund zu tun haben. So ein Ständebaum hatte ursprünglich, wie es seine Bezeichnung schon andeutet, eine völlig andere Bedeutung. Eine solche alte Tradition aufzugreifen und mit anderer Botschaft in unsere Zeit zu übertragen, empfinde ich als gelungene Bewahrung des Alten in unserer Zeit. Mal ganz davon abgesehen, dass dieses Symbol hier auf dem Markt auch eine gute Figur macht. Den Tag beschließen wir abends wieder mit einem Spaziergang. Wir folgen wieder dem Pfad am Ufer der Waldseen entlang, wo man schweigsam angelt und Enten schwimmen. Noch einmal hinunter in die Senke mit Blick auf den Waldteppich aus Bärlauch, bis wir nach mehreren angekündigten hundert Metern, den Biergarten finden. Bei einem dunklen Bier mit Bockwurst überstehen wir den Regenguss, der aus den Bergen kommt, und beim anschließenden Weg zurück durch die Siedlung bestaunen wir einen gewaltigen Regenbogen, der sich über das Städtchen spannt. Dieses grandiose Schauspiel am Himmel nehme ich mir als gutes Vorzeichen für jene Zeiten mit, da vielleicht auch mein Blechfreund die Straßen „Hinterm Zaun“, mit einem HZ an der Karosse, befahren wird.